Interview mit Suzanne Yates im Rahmen ihres Workshops am 6./7. Februar 2016 in Berlin
Wann ist Dir Shiatsu begegnet – noch während Deines Studiums in Modernen Sprachen?
Ich hatte meine erste Erfahrung mit Chinesischer Medizin, als ich noch studierte. Im letzten Jahr meines Studiums bekam ich eine Nierenentzündung. Anstatt mich auf den Pfad der westlichen Medizin zu begeben, entschied ich mich, Kräuter und dann Akupunktur auszuprobieren. Nachdem ich dann eine Zeit lang Akupunktur bekommen hatte, ging ich zu einem Shiatsu-Praktiker, der in derselben Praxis arbeitete. Von da an bekam ich Shiatsu und besuchte Abendkurse für Anfänger.
Was hat Dich so fasziniert, dass Shiatsu zu Deinem Beruf geworden ist…?
Zu Anfang liebte ich es vor allem, Chinesische Medizin zu studieren, die Übungen zu machen, zu meditieren, Shiatsu zu geben und zu bekommen. Das tat ich eher für meine eigene persönliche Entwicklung. Mit jedem Jahr aber liebte ich Shiatsu mehr und setzte meine Studien fort. Zuerst studierte ich ein Jahr lang bei Keith Phillips in Bristol, der aber nur Abendkurse gab. Deshalb begann ich, bei Sonia Moriceau zu studieren. Nachdem ich meine dreijährige Ausbildung beendet hatte, wollte ich weitermachen und Praktikerin werden. Aber ich studierte weiterhin bei Sonia, machte Fortbildungen und assistierte schließlich bei ihr. Ich liebte ihre Kurse, da wir auch sehr viel experimentell auf dem Lande arbeiteten, mit den Fünf Elementen lebten. Ich liebte auch die Meditation, die ein Teil von Sonias Arbeit war. Ich habe das Gefühl, dass ich eine wunderbare Grundlage für die Entwicklung meiner eigenen Arbeit in der Zeit mit Sonia erworben habe.
Du hast Well Mother 1990 gegründet – Ausgangspunkt waren auch Deine eigenen Erfahrungen während Deiner ersten Schwangerschaft. Was hast Du vermisst…?
Ich fand, dass das Shiatsu, das ich während meiner Schwangerschaft bekommen habe, im Rahmen der Möglichkeiten, die Shiatsu zu der Zeit bot, gut war, aber nicht meine besonderen Bedürfnisse als Schwangere befriedigte. Ich bin regelmäßig zu Sonia gegangen, aber ich vermisste die besonderen Verbindungen zu meinem Baby, den speziellen Schwerpunkt, mich auf meine Mutterschaft vorzubereiten. Ich habe zusätzlich in Amerika bei Elizabeth Noble, die Physiotherapie mit Geburtshilfe verband, studiert, da ich ihren Ansatz sehr schätzte. Sie hat mir dann tatsächlich mit Übungen in meiner Schwangerschaft und meiner Vorbereitung auf die Geburt geholfen. Ich hatte auch das Gefühl, dass eine Unterstützung durch Shiatsu für meinen Partner fehlte. Deshalb haben wir beide einen besonderen Workshop zur Geburtsvorbereitung in Bristol ins Leben gerufen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Du unterrichtest nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika und Australien. Was macht Deine Arbeit so einzigartig, so besonders?
Das müsstest Du eigentlich meine Studenten fragen, aber ich glaube, die Antwort ist, dass ich ein großes Wissen angehäuft und viel Erfahrung gesammelt habe, da ich mich seit 1990 intensiv mit diesem Thema befasse. Ich unterrichte nicht nur Shiatsu-Praktiker, sondern auch Hebammen, und von ihnen habe ich viel gelernt. Ich habe manchmal Kurse in Krankenhäusern gegeben und dann zusammen mit den Hebammen die Schwangeren in der frühen Phase ihrer Wehen unterstützt.
Durch meine intensive Arbeit mit Schwangeren ergab es sich dann, dass ich die Außerordentlichen Gefäße „entdeckte“. Ich spürte eine andere Art von Energie und erkannte, dass sie sozusagen das I-Tüpfelchen waren, wenn man mit Schwangeren arbeitete. Die Energie der Außerordentlichen Gefäße ist in Schwangeren besonders präsent, und ich arbeite in fast allen Sitzungen damit. Über die Jahre habe ich dann allmählich immer mehr über die Außergewöhnlichen Gefäße gelernt und sie immer besser verstanden, so dass ich heute auch bei Nicht-Schwangeren und bei Männern damit arbeite. Ich gebe jetzt Workshops nur zum Thema Außerordentliche Gefäße und finde, dass Shiatsu nicht vollständig ist, wenn man sie nicht einbezieht. Das Buch, an dem ich gerade arbeite, behandelt weitgehend die Außerordentlichen Gefäße: wie sie sich vom Moment der Empfängnis an entwickeln und wie sie sich während unseres ganzen Lebens verändern. Ich habe eine Reihe von Blogs zu diesem Thema begonnen.
Wie erlebst Du die Bereitschaft von Hebammen, etwas dazu zu lernen, das sich aus der traditionellen chinesischen Medizin entwickelt hat? Wie ist es mit Ärzten…?
Einige Hebammen sind sehr offen, aber natürlich nicht alle! Oft sind es die freien Hebammen oder die, die in Geburtshäusern arbeiten oder bei Hausgeburten dabei sind, aber auch das ist nicht immer der Fall. Manchmal kommen auch Hebammen, die im Krankenhaus arbeiten in meine Kurse. Ich begann meine Arbeit mit britischen Hebammen, die ziemlich offen waren, aber wegen der Kürzungen im Gesundheitssystem, ist es für sie schwieriger geworden, dafür frei zu bekommen und die Kurse bezahlt zu bekommen.
In Belgien ist das Interesse heutzutage größer. 2010 habe ich auf der Hebammen-Konferenz gesprochen, und im Mai dieses Jahres werde ich auf der Konferenz in Flandern wieder einen Vortrag halten und praktische Workshops geben. Eine von mir ausgebildete Lehrerin hat dort die Workshops, die ich 2010 begonnen hatte, weitergeführt. Auch in Frankreich habe ich unterrichtet, und auch dort unterrichten LehrerInnen, die von mir ausgebildet wurden weiter. Ärzte/Geburtshelfer sind manchmal interessiert, aber sie kommen eher selten in meine Kurse. Als ich allerdings regelmäßig Geburtsvorbereitungskurse in Bristol gegeben habe, kamen sie oft mit ihren Partnern und fanden Gefallen an dem, was sie lernten. Oft ermutigen sie die Hebammen, Shiatsu zu lernen.
In Deutschland, sind die freien Hebammen in den letzten Jahren mit so hohen Versicherungszahlungen konfrontiert, dass es ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet. Viele Hebammen haben aus diesem Grund aufgehört, als Hebamme zu arbeiten. Wie ist Deine Beobachtung dazu in den anderen EU-Ländern?
Ja, das ist traurig, und so ist es auch in England, wo es eine lange Tradition der unabhängigen Hebammen gibt. Ich weiß, dass sich die Situation in den Niederlanden auch verändert hat, auch dort haben sie es schwer. Ich glaube, in den meisten europäischen Ländern ist das so. Außerdem ist es für die Hebammen nicht mehr so einfach, ganzheitlich zu arbeiten, weil die Anforderungen, was Tests, Kontrollen usw. betrifft, größer geworden sind. In Großbritannien arbeiten die Hebammen entweder Teilzeit oder geben ihren Beruf auf und beginnen, ergänzende Heilmethoden zu lernen, wie zum Beispiel Massage und Shiatsu, so dass sie dort von ihrem Kernwissen profitieren können.
Ist die Situation in den Geburtshäusern in England erfreulich?
Es gibt ein paar neue Geburtshäuser und von Hebammen geleitete Zentren in Großbritannien, in denen die Hebammen bessere Möglichkeiten haben, ihr Kernwissen einzubringen.
Du begleitest Schwangere und junge Mütter mit Shiatsu. Begleitest Du auch Geburten?
Im Augenblick nicht mehr so oft. Als ich 1990 mit meiner Arbeit begann, habe ich es oft gemacht, aber seit 1998 unterrichte ich auch in anderen Ländern und kann mich nicht mehr festlegen, Frauen bei der Geburt zu unterstützen. Das ist wirklich schade, denn diesen Teil meiner Arbeit liebe ich sehr…aber man kann eben nicht alles machen!
Du hast in England mit Deinen Well-Mother-Kursen auch ein „Massage-Diplom“ entwickelt. Zusätzlich gibt es nach Belegung der Kurse ein „Shiatsu- und Geburtshilfediplom für Shiatsu-Praktiker“. Wo können in diesem Jahr in Deutschland weitere Kurse besucht werden?
Ich gebe weitere Workshops an der Shambhala Schule in Wien. Dort gebe ich den ganzen Diplomkurs. Im Jahr 1999 hat in Wien meine Lehrtätigkeit in Europa begonnen und ich gebe zweimal im Jahr Workshops. In Deutschland habe ich einige der Module an der Schule für Shiatsu in Hamburg unterrichtet und werde Ende Februar wieder dort sein. Die Teilnehmer, die hier in Berlin den Workshop mit machen und weiter studieren wollen, können daran teilnehmen. In Zürich gebe ich an der Ko-Schule einen Diplom-Kurs. Wenn mehr Informationen gewünscht sind, findet man sie auf den deutschen Seiten meiner Webseite: http://wellmother.org/info/deutsch
Die Well-Mother-Kurse sind vor allem für Hebammen, Geburtshelfer, Shiatsu-Praktiker und Massagetherapeuten gedacht, aber auch für alle anderen. Können auch Partner von Schwangeren, die keine Shiatsu-Kenntnisse haben, teilnehmen?
Ja, natürlich. Dies sind die Geburtsvorbereitungs-Workshops, auf die ich mich beziehe. Ich behandle darin den Stoff, von dem mein zweites Buch Beautiful Birth handelt. Damit habe ich meine Kurse für Schwangere begonnen, und an diesen Kursen nahmen auch Geburtshelfer und Ärzte teil. Aber, wie schon gesagt, gebe ich im Moment nicht viele Kurse dieser Art und arbeite eher eins zu eins mit den künftigen Elternpaaren, da ich mit den Auslandskursen sehr ausgelastet bin. Aber da ich mehr online-Kurse entwickle, hoffe ich, dass ich bald wieder mehr Partner-Workshops geben kann, gleichzeitig kreiere ich aber auch online-Kurse für Schwangere und ihre Partner.
Liebe Suzanne, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ulrike Schmidt, Zen Shiatsu Schule Berlin